Die Vernunft als Ausdruckswelt
HARTMUT LANGE Die Vernunft als Ausdruckswelt |
DRAHEIM Malerei |
GALERIE PETRA LANGE |
Die Vernunft als Ausdruckswelt
Mit der Kunst schafft sich die Vernunft eine eigene Welt, in der sie die
Wirklichkeit auf assoziative Weise übersteigt, und da der Vernunftsbegriff
ständig neuen Metamorphosen unterzogen wird, müßte dies auch an der
künstlerischen Darstellung abzulesen sein. Einige dieser Metamorphosen
möchte ich hier, um mich verständlich zu machen, skizzieren.
Im christlichen Mittelalter, das den abendländischen Vernunftsbegriff bis
in die heutige Zeit hinein fundamentiert hat, galt die Vernunft als gottgegeben.
Es war die Schöpfung, die an und für sich vernünftig war, und
für die Seinsvorstellung des Mittelalters kam es lediglich darauf an, sich
schöpfungsgemäß und damit vernünftig zu verhalten. Die Fähigkeit zur
Erkenntnis galt als Erbsünde, und die Ausdruckswelt der mittelalterlichen
Vernunft können wir in der romanischen und gotischen Architektur oder
Malerei nachempfinden.
Das Zeitalter der Aufklärung, also das 17. und 18. Jahrhundert, hat den
Vernunftsbegriff säkularisiert. Schöpfung und Geist werden
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ununterscheidbar. "Welch ein Himmel im Verstände", diese Wertung Spinozas
öffnet dem Pantheismus den Weg zur Erkenntnis, und zwar so sehr,
daß Hegel zuletzt behaupten konnte, der Weltgeist sei überhaupt nur
darauf aus, den Baum der Erkenntnis, im Mittelalter noch Symbol der
Erbsünde, bis ins Absolute wachsen zu lassen. Hegel setzt Wirklichkeit
und Vernunft identisch und setzt den Intellekt als Mittel dies zu erkennen.
Ihm ist das bewußte Leben eine Gelegenheit zur Begriffsbildung,
und so konnte Goethe in der Sonne dieser empirisch untermauerten
Vernunftsseligkeit seinen enzyklopädischen Neigungen nachgehen. "Der
Sammler und die Seinigen". Alles, was er vor Augen hatte, war ihm
ein Beweis, wie göttlich die Natur ist, in die er sich nur allzu gern einfügte.
Der ästhetisierende Pantheismus war der geglückte Versuch, den
Vernunftsbegriff des Mittelalters auf humane Weise zu sublimieren.
Gott wurde noch nicht abgeschafft, aber durch sein Ebenbild, den
Menschen, auf schöne Weise widergespiegelt, und zwar in Anlehnung
an Winckelmanns Interpretation des Apoll von Belvedere:
"Edle Einfalt, stille Größe".
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Im 19. Jahrhundert wurde der Vernunftsbegriff einer neuen Metamorphose
unterzogen. Während Bettina von Arnim noch mit dem Entwurf ihres
Goethedenkmals durch die Lande zog, zertrümmerte Schopenhauer die
Zuversicht des Deutschen Idealismus, indem er den 'blinden Willen' als
Naturprinzip postulierte. Der Intellekt war nach Schopenhauer lediglich
fähig, die angeschaute Welt zu fiktionalisieren und den 'blinden Willen'
affirmativ zu begleiten. Das heißt, er war fähig, dem Willen zum Guten
wie zum Bösen moralisch die allerbesten Gründe zu liefern, und die
Vernunft war nicht mehr als Erbe der christlichen Metaphysik vorgegeben.
Nietzsche sprach dies unumwunden aus. Seine höhnische
Bemerkung "Gott ist tot" weist darauf hin, daß der transzendente Raum,
auf den sich die Vernunft hin entwarf, in Wirklichkeit leer ist. Nicht Gott,
sondern das Nichts war jetzt die Vorgabe, mit der sich die menschliche
Vernunft auseinandersetzen mußte, und die Malerei der Romantik veranschaulicht
diesen Sachverhalt. Sie wirkt auf uns wie ein wehmütiger
Abschied vom goldenen Zeitalter der pantheistischen Vernunft.
Im 20. Jahrhundert war die Vernunft damit beschäftigt, ihre
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Legitimation im existentiell voraussetzungslosen Raum neu zu definieren und
damit zu sichern. Für Heidegger ist jedes Dasein grundlos geworfen
und muß in dieser Geworfenheit dafür sorgen, daß es bleibt, was es
ist, nämlich ein Sein, das sich die eigene Vorhandenheit nicht plausibel
machen kann. Wo Mythologien oder Religionen der Existenzstruktur
durch einen gesetzten Grund das Nichts ausdrücklich entziehen, kann
sich das grundlos geworfene Dasein nur bis zum Widerruf seiner
Existenz halten. Das Wesentliche an dieser Existenz wäre also die
Nichtigkeit, die es einzugestehen gilt, und die Entschlossenheit, eben
diese Nichtigkeit durch Sinnstiftung abzuarbeiten, wäre die letzte,
heute noch gültige Metamorphose, die am Vernunftsbegriff vollzogen
wurde.
Für das späte 18. und das frühe 19. Jahrhundert war die Kunst eine
Gelegenheit zum erzieherischen Objektivieren, und der Klassizismus war
auf idealische Art anschaulich. Das Seinsverständnis der Moderne ist der
Nihilismus, der durchaus, was das konkrete Leben angeht, affirmativ, nämlich
als Zwang zur Sinngebung, gedeutet werden kann. Zwar ist die Kunst hier,
verglichen mit dem Klassizismus, illusionsarm und existentiell
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hoffnungslos eingefärbt, aber sie ist deswegen nicht weniger ethisch fundiert,
und vor allem: Hier wird die Anschaulichkeit der Kunst über den Umweg
der Abstraktion erreicht.
Im Zeitalter der Relativitätstheorie, der Mathematisierung der Natur, der
Auflösung jeder Art von Übersichtlichkeit durch Wissenschaft und Technik
sieht sich auch der Künstler gezwungen, seine Stilmittel zu relativieren.
Hinzu kommt, daß das aktuelle Seinsverständnis die Rätselhaftigkeit unserer
Existenzstruktur erkenntnistheoretisch nicht mehr leugnet, auch nicht
jenen Bereich, den Schopenhauer im Vorgriff auf die Psychopathologie
den blinden Willen zum Leben nannte, also die unberechenbare, unauslotbare,
durch keine Ratio zu zügelnde Emotionalität. Sogar die schlichteste
Abbildung der Wirklichkeit müßte heute, um realistisch zu bleiben,
die Unschärferelation allen Geschehens, dem der Mensch subjektiv und
objektiv unterworfen ist, miteinbeziehen.
Für die Malerei bedeutet dies: Die Stilmittel, die der Klassizismus, die
Romantik aber auch der europäische Realismus entwickelten,
sind verbraucht. Spätestens seit dem Expressionismus vollzog
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die Moderne einen
radikalen Paradigmenwechsel. Die Stilmittel änderten sich bis zur
Auflösung der angeschauten Gegenständlichkeit. Ein heutiger Maler kann
und muß die Zufallstechniken beim Entstehen seiner Bilder in Rechnung
stellen, weil die spontane Intuition höher und weiter trägt, als die Suche
nach dem Sachverhalt. Als Beispiele seien hier Lüpertz, Gecelli,
Immendorff und Draheim genannt, und besonders an Draheims
Farbkompositionen läßt sich nachweisen, daß nicht nur die gegenständliche,
sondern auch die abstrakte Malerei ein Höchstmaß an
Assoziationsmöglichkeiten mobilisieren kann. Draheims Bilder befinden
sich, was ihre Anschaulichkeit betrifft, im freien Fall. Sie erzeugen ein
Gefühl kosmischer Weite, aber dann wieder den Anschein äußerster
Detailgenauigkeit. Es ist ein fortwährendes Oszillieren hierhin und dorthin,
das leicht als Unverbindlichkeit mißverstanden werden kann. Und
damit wären wir beim rezeptiven Aspekt solcher Bilder.
Die Kunst der Moderne ist in ihren Assoziationmöglichkeiten vollkommen
frei. Sie kennt keinen gesellschaftlichen Konsens. Es mag sein,
daß der Absolutismus der Kunst die Art und Weise ihrer Rezeption
zudiktiert. Der Parlamentarismus ist weit davon
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entfernt. Den Zugang
zur Kunst findet man heute nicht über die Vergesellschaftung, die
ohnehin jeden Tag durch die Transformation der Kunst zur Kultur vollzogen
wird. Kultur bedeutet im Parlamentarismus wesentlich
Repräsentation, eben die Art, mit der sich eine offene Gesellschaft
ihrer ideellen Werte bedient. Das kann auf niedrigstem Niveau und
ohne Rücksicht auf die Belange der Kunst geschehen. Und hier lauert
ein Antagonismus, der die Transformation ad absurdum führt. Hier wird
die Kunst nicht sichtbar gemacht, sie verschwindet unter einem Überangebot
an Surrogaten, die überhaupt erst in der Sphäre der Kultur
erzeugt werden und in denen sich die Kultur selber zur Kunst erklärt.
Hier beginnen die Unwägbarkeiten der Moden, hier beginnt die
Betriebsamkeit, hier beginnt die Inkompetenz derjenigen, die mit der
Transformation Karriere machen wollen, hier beginnt auch die
Kulturpolitik autoritärer Staaten.
Es scheint mir also notwendig, darauf hinzuweisen: Der Zugang zur Kunst
öffnet sich im Zeitalter der Moderne nicht automatisch dort, wo über sie
geredet wird, ja nicht einmal dort, wo man sie praktiziert. Kunst wirkt
heute, auch unter den Bedingungen der
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Öffentlichkeit, ausschließlich selektiv. Sie erreicht nur den, der fähig ist,
ihren Bannkreis zu betreten, und wo diese Fähigkeit fehlt, bleibt sie ein
Geisterschiff, das mit fremden Ambitionen beladen werden kann.
"Kunst ist seltener, als es scheint", schrieb Gottfried Benn, und man
könnte hinzufügen: Sie wird auch selten als solche erkannt, und besonders
dort, wo man sich in der Freiheit ihrer Assoziationsmöglichkeiten
zurechtfinden muß.
Hartmut Lange
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Eine Frage des Lichts
Die Negation der Dingwelt in der Malerei von Rudolf Draheim führt zu
einer Konzentration der Farbmodulation im Sinne einer auf der Fläche des
Tafelbildes stattfindenden Auslotung ihrer Wirkungen implizit eines latenten,
bis zur Gänze reichenden Wahrnehmungspotenzials. Dieses ist jedoch
im rezeptiven Vorgang individualisiert und eröffnet hierin seine Weite.
Der Gegenständlichkeit enthoben offerieren die Bilder dennoch Analogien
zur Wirklichkeit, wenn man beispielweise den imaginären Raum des
Befindens in Atmosphäre und Licht wie auch die gefühlten Schwingungen
darin - seien es die Luftbewegungen oder im Sehen die Variation des
Tageslichtes - der Wahrnehmung des Realen zuordnet. Als Ausdruck der
im Malakt formulierten Farbkonstellationen finden sich diese auf der
Bildfläche wieder.
indem das visuelle Erleben die phantasie- und erinnerungsgreifende
Kontemplation der Betrachtung zulässt, kann assoziativ und synästhetisch
gar das Bildgeschehen im Einzelnen ufern.
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Das Phänomen einer ausschließlich auf die Präsenz der Farbe gerichteten
Bildwelt birgt eine Ausdruckskraft, die zum einen den sensiblen
Vorgang von Sinneswahrnehmungen als Ausgangspunkt hat, zum anderen
auf der physisch erlebten Expression des Gestaltungswillens basiert
und sich in der intuitiven wie gezielten Farbsetzung materialisiert.
Inspiration für die neu entstandenen Werke von Rudolf Draheim bot eine
Daseinserfahrung, die losgelöst von der metropoliten Ablenkung, aus dem
Erleben des Wechselspiels der Elemente und der eigenen, meditativen
Singularität beim Aufenthalt in Norddeutschland wuchs. Aus dieser
Komplexität des Seins filtert sich im künstlerischen Akt eine auf das
Eigenleben der Farben orientierte Behandlung derselben, so daß diese
wie auf sich bezogene Inszenierungen strahlen, fern aller formgebenden
Dinglichkeit. Nicht einmal an geometrische Formen anknüpfend, wie sie
die abstrakte Kunst kennt, vollzieht sich in Rudolf Draheims Werken das
Bildgeschehen. Es ist vielmehr gleich einem autarkem Kristall, ein universales
Ganzes, das ausschnitthaft auf seine Unendlichkeit weist, so als ob
man in einen Kosmos farbener Energien blickt.
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Die Formate fungieren trotz unterschiedlicher Größen einheitlich. Sie sind
Träger der fulminanten Bildwelten, jedoch ohne diese mit begrenzenden
Konturen zu rastern. Ihre nach allen Seiten hin evozierte Offenheit suggeriert
den Anschein eines nicht endenden, über das jeweilige Format
hinausgehenden Farbenflusses.
In ihm findet das ineinanderübergehende Verschmelzen oder das sich
separierende Behaupten der zumeist reinen Farben statt. Die ihnen
jeweils im Ensemble aller Nuancen zugewiesene Intensität vermag in sehr
unterschiedlicher Weise ein Leuchten zu erzeugen. Dies geschieht ausschließlich
dadurch, dass die Farben in ihrer Sättigung - die Zufuhr von
Grautönen wird vermieden - unangetastet bleiben, wohl aber im Kontrast
zueinander stehen und ihren Eigenwert behalten sollen, ohne daß sie
durch Aufhellen eine vordringende Prägnanz erhalten. Auf diese Weise
passiert ein durchflutendes Licht das Bildgeschehen, das wiederum Farbe
ist und sich als ein geschwungenes Rot, als ein sich vertikal aufrichtendes
Azur oder als ein hinter einem gefleckten Grüngelb schwebendes
Weiß ausmacht.
Die Körperhaftigkeit, die Materialität der Farbe wird im pastosen
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Auftrag
besonders sichtbar und bietet ursächlich den eigentümlichen Reiz von
Transparenz der Schichtungen. Die mit der Rakel in wuchtiger Geste vollzogene
Farbsetzung erfährt sowohl die Gerichtetheit einer Bewegung, wie
auch eine sie begleitende scheinbare Auflösung. Aufgerissene Farbsegmente
machen das Durchscheinen möglich, wirken in ihrer fleckenartigen
Struktur wie ein Schweben von sich selbst. Einhergehend mit der
Tiefenwirkung der farbigen Schatten entsteht die Illusion von Raum auf
der Bildfläche. Dieser führt das Auge wie ein Sog in das pulsierende
Kolorit, um - es hier gleich einem ruhefindenden Verweilen die
Geborgenheit des Lichtes erleben zu lassen. Das sich dieses in verschiedenen
Kontrasten artikuliert, ist der feinsinnigen wie eruptiven
Farbgebung geschuldet, ebenso der malerischen Konsequenz, die
absichtslos ausschließlich das Leben von Farbe zelebriert.
Der vitalen Ausstrahlung seiner malerischen Erkundungen bleibt Rudolf
Draheim treu. Sich seiner Malerei hinzugeben lässt mit jedem Bild das
erquickende Erlebnis der Unendlichkeit des Sehens zu.
Petra Lange
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Wir danken Frau Monika Egger sehr für die freundliche Unterstützung. |
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Hartmut Lange Dr. Petra Lange
Rudolf Draheim
repro ringet, Berlin, 2006
500 Exemplare
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Titel der abgebildeten Werke: |
Ohne Titel (Horst / Schleswig-Holstein) Öl auf Leinwand, 30 x 30 cm, 2005 |